Teilnehmer der Internet-Konferenz re:publica wollen das Netz wieder an sich reißen

9. Mai 2014 von Sebastian Schulte

Bei ihrer achten Ausgabe begab sich die Internet-Konferenz re:publica „INTO THE WILD”. Mit 350 Veranstaltungen und 18 Bühnen war Europas größtes Treffen der digitalen Gesellschaft 2014 noch einmal umfangreicher als im Vorjahr. Inhaltlich drehten sich die Talks, Workshops und Aktionen um die Themen Netzpolitik, Innovation, Bildung, Gesundheit, Open Science, Mobilität, Medien und Digitalwirtschaft.

Mehr als 6.000 Menschen besuchten das Event in Berlin. Ingo Sauer, der als Berater für Changemanagement, Organisationsentwicklung und Social-Media bei der SEVEN-PRINCIPLES AG arbeitet und privat das Inoffizielle Fernseh- und Medienforum (I.O.F.F.) betreibt, war vor Ort, um für uns seine Eindrücke zu schildern.

Da bin ich nun. Auf meiner ersten re:publica, der Netzkonferenz in Deutschland. Auch wenn ich schon seit Jahren im Netz unterwegs bin, so ist diese Konferenz bisher an mir vorbei gegangen. Was habe ich nur in den letzten Jahren verpasst! Die Themenvielfalt der zum Teil fünfzehn parallel stattfindenden Sessions ist schlicht überwältigend. Viele der Teilnehmer haben großes Interesse an politischen Themen, aber mindestens genau so viele möchten sich über neue technische Möglichkeiten austauschen oder sehen die re:publica einfach als “größtes Klassentreffen der Netzgemeinde”.

In der Eröffnungssession vor etwa 3.000 anwesenden Teilnehmern ruft re:publica Mitorganisator Markus Beckedahl von netzpolitik.org  nicht nur dazu auf, im Jahr 1 nach Edward Snowden “unser Netz wieder zurückzuerobern”, sondern geht noch weiter: Er fordert Asyl für den zurzeit noch in Russland weilenden Whistleblower in Deutschland.

David sucht (immer noch) nach Freiheit

Die Internet-Konferenz bleibt in vielen Teilen politisch und auch international, aber das Programm allein für den ersten Tag sprengt ausgedruckt eine A3-Seite ob der Vielfalt. Und dann sind da ja noch die Stände von z.B. Baden-Württemberg, Joiz oder digitale Gesellschaft und vielen, vielen Anderen in der großen Halle und auf dem Freigelände vor den Sessionräumen, die zum Verweilen, Staunen, Diskutieren und Treffen einladen. Denn auch die persönliche Vernetzung der Teilnehmer ist ein wichtiges Element dieser Nutzer, die sonst das Netz als “ihre Heimat” ansehen.

Nachdem auf der Hauptbühne der Journalist Jacob Applebaum über die Schwierigkeiten der Verschlüsselung (“To use a condom may be easier then using PGP”) geredet hat, tritt David Hasselhoff auf. Genau DER David Hasselhoff: Baywatch, Knight Rider, Looking for Freedom. Der Hersteller F-Secure hat ihn wegen dessen bekanntesten Song für die re:publica im Rahmen der Digital Freedom Kampagne engagiert. Im Netz ist “The Hoff” schon Kult – nun will der Software Hersteller diese Popularität auch in Berlin nutzen.

“The Hoff” wird frenetisch begrüßt und spricht über sein Verhältnis und seine Geschichte zu und mit Deutschland. Er vergleicht den Verlust der Privatsphäre in der DDR mit dem Fehlen von Privatsphäre im Zeitalter der digitalen Überwachung. Das Kernproblem laut F-Secure Forschungschef Mikko Hyppönen ist, dass das Netz derzeit genutzt werde, um unser Leben zu überwachen – wozu es nie gedacht war. Er möchte ein Manifest aus vier Hauptpunkten den Regierungen der Welt übermitteln, die das Netz bzw. die Privatsphäre zurückfordern. Schlussendlich geht es (auch) darum, dass neue VPN-Produkt von F-Secure zu promoten. Aber zum Schluss darf David doch noch singen.

Rede zur Lage der Nation

Zum Schluss des Programms am Dienstag auf der Hauptbühne hat Sascha Lobo das Wort. Wie alljährlich zur re:publica gibt er seine Rede zur Lage der Nation zum Besten.

Sascha Lobo

Sascha Lobo hielt seine traditionelle Rede zur Lage der Nation (Bild: DAVIDS/Gregor Fischer)

Die Bekassine war 2013 der Gesellschaft mehr wert als das Internet: das Spendenaufkommen zugunsten des Bayrischen Vogelschutzbundes gegenüber der Netzpolitik in Deutschalnd war – gerechnet auf Vollzeitstellen – etwa 60x so hoch. Nach einem Spendenaufruf für die digitalen Interessenverbände, um sie von einer “Hobby-Lobby zur Vollzeit-Lobby” entwickeln zu können, lässt Lobo die Timeline der NSA-Affäre mit eindringlichen Worten Revue passieren und schließt den Rückblick ab mit den Worten: “Das Internet ist kaputt, die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.”

Laut Lobo geht es bei dieser Internetkrise ganz schlicht um Herrschaft und um Macht. Er fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel direkt auf, “deutlich zu machen, dass Grundrechte wichtiger sind als Obamas Gewürzgarten”, und ruft zu einem Marsch durch die Institutionen auf, um den Kampf um die “freie, offene und sichere Gesellschaft” zu beginnen. Auch fordert er – neben einer Verschärfung der Sprache – dazu auf, bei dem “Kampf in den Köpfen um die Köpfe” die Wirtschaft auf die eigene Seite ziehen. Er wird mit langem Applaus verabschiedet. Die Rede Lobos ist in voller Länge auf Youtube verfügbar.

Digitales Quartett

Neben Sessions des Bildblog-Gründers Stefan Niggemeier oder einer Live-Runde des digitalen Quartett von Ulrike Langer, Richard Gutjahr, Thomas Knüwer und Daniel Fiene oder Sessions zu Facebook-Werbung informieren sich die Zuschauer u.a. auch bei Veranstaltungen, die am Rande der re:publica statt finden oder sie warten auf die große Party Web Week Night auf dem Gelände der re:publica, die die parallel stattfindende Media-Convention und die NEXT-Konferenz mit der #rp14 verbindet.

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Netzpolitische Themen durften auf der Internet-Konferenz natürlich nicht fehlen (Bild: Ingo Sauer)

Auf einer Konferenz mit netzpolitischem Ursprung darf natürlich eine Session zum Thema “Vorratsdatenspeicherung” nicht fehlen. Die beiden netzpolitik.org Autoren Anna Biselli und Andre Meister hatten  sowohl “für Anfänger als auch für Fortgeschrittene” einiges dabei. So stellen sie anschaulich die Prinzipien und verwendeten Daten dieser anlasslosen Speicherung vor und erklärten den anwesenden Teilnehmern den Unterschied zwischen Bewegungs- und Bestandsdaten. Sie beschreiben anhand des deutschen Politikers Malte Spitz, wie verräterisch ein Handy sein kann. So sind im Laufe eines halben Jahres bei Spitz 35.000 Datensätze angefallen, mit denen fast jede Bewegung nachvollzogen werden konnte. Vor allem diese Bewegungsdaten – dazu gehören auch Kommunkationsprofile, also wer mit wem telefoniert –  sind im Fokus der Ermittlungsbehörden, da sie auch viel über die Vernetzung eines Menschen mit anderen verraten.

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Zum Abschluss der Veranstaltung wurde gefeiert (Bild: CC BY SA 2.0 / Gregor Fischer)

Brigitte Zypries, parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, stellte sich den Fragen von Moderator und Journalist Volker Tripp, der als Jurist den Verein digitale Gesellschaft berät. Tripp kündigte zwei Themen an, über die er gerne sprechen wollte: Netzneutralität und das Handelsabkommen TTIP.

Beim Thema Netzneutralität hat Brigitte Zypries ein klare Meinung, dass diese auf jeden Fall erhalten bleiben müsse. Auch betonte sie, dass der Vorschlag des EU-Parlamentes weit über die Definition der EU-Kommision hinausging und damit ein klares Signal für Netzneutralität sei. Laut Zypries kann es nicht sein, “wenn Du Geld hast, dann können wir Deine Daten schneller Transprotieren” – das würde eine zu hohe Markteintrittsbarriere z.B. für Startups sein. Auch ist es hier immer noch eine Frage der zur Verfügung stehenden Bandbreiten, aber diesen Task hat nun “der Kollege Dobrint, hier für Klarheit zu sorgen”. Was aber für Deutschland gelte, müsse auch Europaweit vorangetrieben werden.

Beteiligung erwünscht

Bei der Frage zum Freihandelsabkommen TTIP stellte sich Zypries eher auf die Seite der Kritiker, indem sie bekräftigte, dass sie diese geheim geführten Verhandlungen ebenfalls ablehnt und sich für mehr Transparenz aussprach. Grundsätzlich befürwortet sie ein Handelsabkommen, aber dann vor allem dazu, um die deutschen Standards halten zu können. Auf die Frage von Volker Tripp, was der Einzelne tun könne, um zu diesem Abkommen beizutragen oder es zu verhindern, rief Zypries dazu auf, die Gelegenheit als EU-Bürger zu nutzen, und sich zu dem anstehenden Schiedsgerichtsverfahren zu äußern.

Kategorie: Sicherheit

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