Tabea Rößner ist medienpolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Gemeinsam mit den Kollegen vom 1&1 Blog setzen wir uns in Artikeln und Interviews mit der Bundestagswahl 2013 auseinander. Nach dem SPD-Abgeordneten Lars Klingbeil und CDU-Mann Michael Kretschmer unterhalten wir uns heute mit Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Tabea Rößner ist seit 2009 Mitglied des Bundestages. Sie sitzt im Ausschuss für Kultur & Medien, der Enquete-Kommission „Internet & digitale Gesellschaft“ und ist Obfrau im Unterausschuss „Neue Medien“.
Frau Rößner, die Telekommunikations- und Internetüberwachung durch Geheimdienste ist das Thema der Stunde – im Moment bekommt die Öffentlichkeit das Gefühl einer Ratlosigkeit der Politik vermittelt. Was konkret würden die Grünen im Falle eines Regierungswechsels in Sachen PRISM & Tempora zur Eindämmung dieser Überwachung tun?
Längst ist klar, dass die Ausspähungen nichts mit gezielter Terrorismus- oder Verbrechensbekämpfung zu tun haben. Wie wir nun wissen, wurden massenhaft BürgerInnen ausgespäht, die UNO abgehört und in vielen Botschaften und Konsulaten soll ein Abhörprogramm der NSA laufen – ein Posten davon in Frankfurt! Die Rolle des BND bleibt unklar. Die Bundesregierung schweigt weiterhin oder versucht uns mit lächerlichen „No Spy-Verträgen“ ruhig zu stellen. Das ist ein unhaltbarer Zustand!
Datenüberwachung ist ein sehr intensiver Eingriff. In einer zukünftigen Regierung wollen wir daher allen grundrechtswidrigen Überwachungsprojekten Einhalt gebieten. Die Öffentlichkeit muss aufgeklärt und jegliche rechtswidrige Ausspäh-Aktionen beendet werden. Rechtliche Schritte gegen Großbritannien und die USA – vor dem Europäischen (EuGH) oder Internationalen Gerichtshof (IGH) – sind in Erwägung zu ziehen. Wir wollen die Europäische Datenschutzreform voranbringen, damit wir uns zumindest in der EU auf ein einheitliches Datenschutzrecht verlassen können. Wir kämpfen aktiv gegen die Vorratsdatenspeicherung, aber für einen besseren Daten- und Verbraucherschutz und einen effektiven Beschäftigten-Datenschutz.
Die parlamentarische Kontrolle und die Datenschutzkontrolle über die Geheimdienste sollte wesentlich gestärkt, Aufgaben und Befugnisse der deutschen Geheimdienste eng und konkret geregelt werden, um Missbrauch zu verhindern. Whistleblower sollten gesetzlich geschützt werden, um ihren Mut nicht mit Arbeitslosigkeit, Gerichtsverfahren, Gefängnis oder sogar Verfolgung zu bestrafen.
Zweites Thema – Urheberrecht: Im März haben die Grünen mit einem Gutachten die Diskussion um die sogenannte Kulturflatrate nochmal angeheizt. Im Wahlprogramm findet sich eine Pauschalabgabe auf Internetanschlüsse zumindest als Zukunfts-Option. Hand auf Herz: Wie wollen Sie Bürger – neben der ungeliebten GEZ-Gebühr – von einer solchen Abgabe überzeugen?
Der digitale Wandel und das veränderte Nutzerverhalten bergen große Chancen aber auch Herausforderungen. Meines Erachtens ist es daher wichtig, dass wir das Urheberrecht zeitgemäß anpassen, um einen echten Interessenausgleich zu schaffen.
Mit unserem Gutachten zur Umsetzbarkeit eines Pauschalvergütungsmodells wollten wir neue Modelle zur Diskussion stellen. Die Frage darin war, ob eine sogenannte „Kulturflatrate“ ein Baustein für ein gerechteres, modernes Urheberrecht sein kann. Das Gutachten hat gezeigt: Ein Pauschalvergütungsansatz ist rechtlich zulässig, kann eine angemessene Vergütung der Kreativen sein, gleichzeitig die repressive Form der Rechtsdurchsetzung gegenüber den NutzerInnen – Stichwort: Abmahnwahnsinn – eindämmen. Allerdings kam heraus, dass gewichtige bspw. europarechtliche Hürden für die Umsetzung eines solchen Modells bestehen. Das Gutachten liefert damit eine Diskussionsgrundlage. Meine persönliche Skepsis gegenüber einem solchen Modell ist damit aber bestätigt worden. Es liegt nahe, dass wir weiterhin über Alternativen nachdenken müssen, sollten neue Geschäftsmodelle nicht ausreichen, die bestehenden Probleme zu lösen. Dazu gehört gegebenenfalls auch die Diskussion über ein Pauschalvergütungsmodell. Eine Umsetzung in der nächsten Wahlperiode ist sicher nicht realistisch. Ich möchte mich mit den Grünen in jedem Fall weiterhin für einen echten und fairen Interessensausgleich einsetzen. Der Zugang zu und die Teilhabe an kulturellen Gütern ist gleichermaßen schützenswert wie die Rechte von Kreativen an ihren Werken.
Sie sind medienpolitische Sprecherin der Grünen und damit auch zuständig für den Jugendschutz im Internet. Der letzte Versuch, die gesetzlichen Grundlagen zu reformieren ist Ende 2010 spektakulär gescheitert. Seitdem ist es auffällig still geworden um den sog. „Jugendmedienschutzstaatsvertrag“. Kapituliert hier gerade die Politik vor der Wirklichkeit?
Einen Jugendmedienschutzstaatsvertrag kann man nicht mehr in den Hinterzimmern der Staatskanzleien aushandeln. Er bedarf einer breiten gesellschaftlichen Debatte, relevante Gruppen der Netz-Community müssen einbezogen werden. Dafür habe ich mich immer stark gemacht und werde es auch weiter tun. Ich setze mich mit den Grünen für einen klaren Neuanfang ein. Schnellschüsse helfen uns nicht weiter. Ein wirksamer Jugendmedienschutz ist nur möglich, wenn er hohe Akzeptanz genießt.
Dafür müssen wir in einem transparenten Prozess Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik an einen Tisch bringen, damit Probleme diskutiert, Ideen ausgetauscht und Ziele gemeinsam benannt werden können. Erst dann können wir die Neufassung des Jugendmedienschutzes sinnvoll angehen. Dafür sind dicke Bretter zu bohren! Damit nicht jeder sein eigenes Süpplein kocht, brauchen wir eine gemeinsame Koordination der Aktivitäten. Auch wenn es um einen Länder-Staatsvertrag geht, macht der Jugendmedienschutz nicht an den Landesgrenzen halt. Der internationale Kontext ist daher zu berücksichtigen, Lösungen müssen verhältnismäßig sein und technische Realitäten anerkannt werden. Wir Grüne lehnen etwa auch weitreichende Eingriffe wie Sperrungen oder verpflichtende Filterung von Inhalten im Internet ab. Von diesen Eckpunkten wird es abhängen, wie sich die Grünen zu einer Neufassung des JMStV verhalten werden. Klar ist aber: Es gibt dringenden Handlungsbedarf!
In den USA ist das Netz als Wahlkampfinstrument, bis hin zur massiven Aggregation von Wählerddaten via Smartphone, mittlerweile siegentscheidend. Hierzulande ist alles eine Nummer kleiner, aber ohne geht es selbstredend auch nicht. Welche Bedeutung messen Sie dem Internet für die Bundestagswahl 2013 bei? Wo hilft es Ihnen persönlich am meisten?
Klar machen wir Grünen online Wahlkampf! Das habe ich vor vier Jahren auch schon gemacht. Viele Bürgerinnen und Bürger nutzen das Internet für ihre Wahlentscheidung. Seitdem wir im Wahlkampf sind, kriege ich beispielsweise spürbar mehr Bürgeranfragen per Mail, über die sozialen Netzwerke oder über meine Website. Abgeordnetenwatch und andere Plattformen bieten die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Ich finde das gut. Nicht jeder kann und möchte mich beispielsweise an einem Wahlkampfstand ansprechen. Man kann halt auf verschiedenen Kanälen kommunizieren. Allerdings braucht das auch ganz schön viel Zeit. Wichtig ist für mich und meine Aktivitäten, dass es aktuell, kurz und vor allem verständlich ist. Ich war früher einmal Redakteurin bei der Kindernachrichtensendung „logo“ – das prägt.
Auch der Bundes-, Landesverband und die Kreisverbände nutzen das Internet, um umfassend und klar zu kommunizieren: Was machen die Grünen und was wollen sie? Das muss schnell und verständlich sein und vor allem bei den Leuten ankommen. Also nicht nur über die Website, sondern über die sozialen Netzwerke, um möglichst viele WählerInnen zu erreichen. Zudem nutzen wir das Internet für unsere Binnenkommunikation: Es gibt beispielsweise eine grüninterne Plattform, in der Argumente, Informationen und Materialien ausgetauscht werden.
Abseits der Medien- und Netzpolitik: Welche Themen bewegen aus Ihrer Wahrnehmung die Menschen vor der Bundestagswahl 2013, welche werden am Ende die Wahl entscheiden?
Ich glaube, dass sich viele Menschen um ihre Zukunft sorgen: Werden sie genug Rente erhalten, um Miete und Lebensmittel zahlen zu können? Was ist, wenn sie krank werden oder vielleicht auf Pflege angewiesen sein werden? Ganz konkrete Probleme in ihrem Umfeld sind auch wahlentscheidend, wie zum Beispiel der Fluglärm in meinem Wahlkreis. Das heißt, man muss sich mit allen relevanten Fragen befassen und diese begleiten – und das nicht nur vor der Wahl!
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