"Die USA müssen sich an Grundrechte halten"

4. Juli 2013 von Sebastian Schulte

Michael Kretschmer (CDU)

Am 22. September 2013 wird der 18. Deutsche Bundestag gewählt. Das Internet als Wahlkampfthema hat dabei mehr Bedeutung als jemals zuvor. Gemeinsam mit den Kollegen vom 1&1 Blog setzen wir uns in loser Folge in Artikeln und Interviews mit der Bundestagswahl und den verschiedenen Facetten der Netzpolitik auseinander – wir schauen in die Wahlprogramme und sprechen mit den netzpolitischen Gesichtern der verschiedenen Parteien.

Heute sprechen wir mit CDU-Fraktionsvize Michael Kretschmer. Der Dipl.-Wirtschaftsingenieur, Jahrgang 1975, gehört seit 2002 dem Bundestag an. Kretschmer ist zudem Vorsitzender des Arbeitskreises Netzpolitik der CDU und seit April 2005 Generalsekretär der Sächsischen Union.

Herr Kretschmer, vier netzpolitisch bewegte Jahre liegen seit der letzten Wahl hinter uns. Alle Parteien haben ihr netzpolitisches Profil in dieser Zeit geschärft. Was unterscheidet die CDU 2013 von der CDU 2009 aus netzpolitischer Perspektive?

Wir befinden uns inmitten eines digitalen Umwälzungsprozesses, der in den vergangenen Jahren an Fahrt aufgenommen hat. Das haben nicht nur wir Politiker gespürt, sondern auch in der Gesellschaft und Wirtschaft hat sich viel bewegt. 2009 ging es noch vorrangig um Präsenz in sozialen Netzwerken, 2013 stehen wir an der Schwelle zur Industrie 4.0, schicken unsere Daten in die Cloud und diskutieren über Chancen und Risiken von Big Data oder 3-D-Druckern.  Zu Beginn der Legislaturperiode gab es noch eine spürbare Kluft zwischen den  digital affinen Politikern und denjenigen, die sich in der analogen Welt wohler fühlten. Mittlerweile haben sich beide Seiten aufeinander zubewegt und in zentralen Themen wie Urheberrecht oder Datenschutz zu kompromissfähigen Lösungen gefunden. Eine wichtige Rolle hat dabei auch die Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ gespielt – dadurch wurde viel Kompetenz und Akzeptanz geschaffen.  Die CDU ist eine Volkspartei, die keine einseitigen Lösungen vertreten oder der Netzgemeinde nach dem Mund reden kann und will, wie es z.B. die Piraten versucht haben. Wir verfolgen eine Digitalisierungspolitik, die eine Mehrheit mitnimmt und unsere zentralen Werte aufrechterhält, wie z.B. den Wert des geistigen Eigentums. Zugleich sind wir offen für neue Technologien, Geschäftsideen oder Arbeitswelten. Ich denke, diesen dualen Ansatz  spiegelt unser Regierungsprogramm wider.

Einer der Aufreger der vergangen Jahre war das Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Die CDU hat hier eine bewegte innerparteiliche Debatte hinter sich. Wie zufrieden sind Sie mit dem am Ende gefundenen Kompromiss – auch vor dem Hintergrund der sich jüngst bei den Suchmaschinenanbietern abzeichnenden Praxis?

Ich bin der Meinung, dass Presseverlage eine beachtenswerte Leistung für qualitativ hochwertigen Journalismus, Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit erbringen. Zugleich schaffen sie sichere Arbeitsplätze für viele Kreative. Es ist nicht fair, wenn andere Unternehmen davon einfach ohne Gegenleistung profitieren – da ist in den vergangenen Jahren Vieles in die Schieflage geraten. Zugleich müssen wir jedoch anerkennen, dass sich das Leserverhalten durch das Internet verändert hat und wir die Uhr nicht in das analoge Pressezeitalter zurückdrehen können. Ob das Leistungsschutzrecht wieder Balance schaffen kann, wird sich zeigen. Ich denke, dass Kreativität und gute Geschäftsideen letztlich wirksamer sind als Schutzrechte.

Mit „Tempora“ & „PRISM“ haben wir auf der Ziellinie dieser Legislatur noch ein politisches Großthema bekommen, das auch eines der wichtigsten Themen für die neue Regierung ab Herbst werden dürfte. Wieviel Gestaltungsspielraum hat eine Bundesregierung überhaupt bei einem so diffizilen Thema wie den Befugnissen von Geheimdiensten auf globaler Ebene?

Eine flächendeckende Überwachung der digitalen Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern ist inakzeptabel und widerspricht dem deutschen und EU-Verfassungsrecht. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum für Geheimdienste sein. Sowohl von einem EU-Partner wie Großbritannien als auch von den USA müssen wir verlangen, dass sie sich an gemeinsame Spielregeln und Grundrechte halten. Ich erwarte, dass die Bundesregierung für die hier geltenden Rechtsnormen auf internationaler Ebene eintritt und einen vertrauensvollen Umgang einfordert.

Sie nutzen intensiv Facebook für ihre politische Arbeit – vor allem im Wahlkreis. Welche Bedeutung haben soziale Medien für Sie persönlich und wo sehen Sie die Grenzen von Social Media im politischen Bereich?

Ich binde soziale Medien intensiv in meine Arbeit ein, denn via Facebook oder Twitter kann ich viele Menschen in Echtzeit über Themen und Ereignisse informieren, die in Berlin oder in meinem Wahlkreis stattfinden. Zugleich habe ich die Möglichkeit, dort in Kurzform Meinungen und Positionen auszutauschen.  Die Grenzen von Social Media sehe ich aber darin, dass derzeit einerseits noch nicht alle Bürgerinnen und Bürger am digitalen Leben teilhaben und andererseits viele politische Themen zu komplex sind, um etwa in einem Tweet von 140 Zeichen erklärt werden zu können. Nach wie vor schätze ich das persönliche Gespräch mit Wählern oder Kollegen sehr und bin in Berlin wie im Wahlkreis stetig und gerne unterwegs, um Menschen „analog“ zu treffen.

Abseits der Netzpolitik: Was bewegt die Menschen in ihrem Wahlkreis am meisten, welches Thema entscheidet die Wahl im September?  

Die Digitalisierung bewegt auch die Menschen in meinem Wahlkreis, z.B. das Thema Bandbreitanschluss oder digitale Warnsysteme im Falle von Hochwasserlagen. Hinzu treten verschiedene regionale und wirtschaftliche Themen, diskutiert wird über die demografische und infrastrukturelle Entwicklung der Region, über Lohngestaltung und Grenzkriminalität.  Ich habe mit dem Landkreis Görlitz den östlichsten Wahlkreis der Bundesrepublik Deutschland – er grenzt an Polen und im Süden an die Tschechische Republik und nimmt somit eine verbindende Position in Mitteleuropa ein.

Kategorie: Sicherheit

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